Meine schwarze Muse

Sie heißt Erika Naumann und ich liebe sie. Schon immer. Sie war da, seitdem ich denken kann. Das erste Mal sah ich sie bei meinem Vater im Wohnzimmer. Und schon da war sie alt, sehr alt. Aber sie sah spannend aus. Ich liebe sie, mit all ihren Geheimnissen, die sie niemals preisgeben wird.
Aus Dresden stammt sie. Dort war ich noch nie, aber seit ich weiß vorher sie kommt, möchte ich einmal dort hin reisen. Vielleicht nehme ich sie mit. Sie ist recht klein, sie braucht nicht viel Platz. Das geht sicher.
Aber ob das gut ist? Sie ist schließlich schon ein bisschen klapperig. Immerhin war sie schon 1927 putzmunter unterwegs. Das glaubt man kaum. Sie hat sich äußerlich ganz gut gehalten. Trotzdem, manchmal knackt es ganz bedenklich, wenn sie ihre zarten Ärmchen bewegt. Ich will ihr ja keinen Schaden zufügen.
Erika hilft mir, wenn ich mal wieder vor dem Laptop sitze und nicht weiß, was ich schreiben soll. Dann beginne ich, ihre sanften, glatten Rundungen zu streicheln und stelle mir vor, wie viele Geschichten sie schon kennt.
Dann ist es, als würden ihre Erinnerungen zu mir herüber fließen. Manchmal drücke ich vorsichtig ein paar der goldumrandeten Knöpfchen. Dann wirft sie die Arme in die Luft, knackst und klappert, und ich muss lachen, über die kleine schwarze Erika, die der Erfinder Karl Drais „Schreibklavier“ genannt hatte.
Spätestens dann fällt mir eine Geschichte ein.